Samstag, 20. Februar 2016

Огонек № 16, 1958

Ein Sammler ist eben auch ein Jäger. Es macht mehr Spass, wenn das Ziel der Jagd schwer zu erlegen bzw. zu finden ist, als es im Shop seinem Warenkorb hinzuzufügen.
Eine etwas längere Jagd ist dieser Tage zu Ende gegangen, die in der Adventszeit des vorigen Jahres begann. Auf der Suche nach einem Thema für einen weihnachtlichen Blogeintrag bin ich auf die Kurzgeschichte Foster, You're Dead von Philip K. Dick gestossen, zu Deutsch Der Bunker, später auch übersetzt als Foster, du bist tot.
Die Ausgabe von Ogonek mit Dicks "Foster, You're Dead"
Огонек № 16, 1958 enthält die erste russische Übersetzung von Philip K. Dicks
Kurzgeschichte Foster, You're Dead, auf Deutsch Der Bunker
Bei den PhilipKDickfans, oder eigentlich beim mittlerweile dort beheimateten PKDwebfinden sich einige Notizen zur Veröffentlichung der Kurzgeschichte. Erwähnt wird dort, dass die Geschichte 1958 ohne Genehmigung des Autors von der sowjetischen Zeitschrift Ogonek veröffentlicht wurde. Dicks grösstes Problem damit war offenbar, dass er dafür zunächst keine Tantiemen bekam, obwohl Ogonek wöchentlich in der grossen Auflage von 1,5 Millionen Exemplaren erschien – und damit diese Veröffentlichung seine zu diesem Zeitpunkt wohl am weitesten publizierte gewesen sein dürfte. In typischer Manier erzählt Dick die Geschichte der Veröffentlichung in der Sowjetunion in verschiedenen Versionen, man spürt aber, dass die hohe Auflage, die er nie zu erwähnen vergisst, ihn doch stolz macht. Und das Geld hat er am Schluss wohl doch noch bekommen: Er schreibt in einem Brief an das FBI a royalty check from Ogonek for a story of mine they had stolen which a Russian had called my attention to [The Selected Letters of Philip K. Dick 1974, Seite 31]. Über die Summe äussert es sich dann noch einmal in einem späteren Brief: about 250$ [ebd., Seite 42]. Und am 19. April 1974 schreibt er I haven't seen anything but my Ogonek story, which was years ago [ebd., Seite 61], er hat diese Ausgabe also wohl auf jeden Fall gesehen.
Eine weitere Websuche findet noch Christopher Palmers Aufsatz Philip K Dick and the Nuclear Family. Dort wird noch der Monat der Veröffentlichung genannt, nämlich April; bei einer wöchentlichen Zeitschrift lässt das noch einen gewissen Raum, was die Suche nicht viel einfacher macht. Ein umfassendere Suche lässt mich dann eine sehr ausführliche Bibliographie der russischen Veröffentlichungen von Dick finden. Sortiert nach dem Ersterscheinungsdatum stehen dort alle russischen Ausgaben von Romane und Kurzgeschichten – und eben auch:
1955
Foster, You’re Dead, 1953, (“Star Science Fiction Stories 3”, 1955)
1) Фостер, ты мертв! // Журнал “Огонек” № 16, 1958. С.17–21. Пер. Ю.В.Сименова и В.В.Кривощекова. 
Die gesuchte Ausgabe ist also offenbar, der Google-Übersetzer hilft, die Nummer 16. Die russische Bibliographie bestätigt auch, dass dies die erste Ausgabe eines Werks von Dick in der Sowjetunion ist. Mit der Nummer findet man dann schnell einige sehr günstige Angebote, allerdings überwiegend auf russischen Webseiten. Ein deutsches Angebot der Ausgabe als Teil eines Konvoluts entpuppt sich dann allerdings als (sehr teure) gebundene Ausgabe – und ein Heft ist ein Heft, gebunden ist es einfach weniger schön.
Ich habe dann in der Bucht einen ukrainischen Anbieter gefunden, der sehr viele Hefte anderer Jahrgänge von Ogonek anbietet. Da im antiquarischen Bereich häufig nur ein Teil des Bestandes erfasst ist, besonders wenn es sich um weniger wertvolle Ausgaben wie Zeitschriften handelt, habe ich bei diesem angefragt. Dieser wollte auch gerne suchen, brauchte aber ein Bild der Ausgabe, dass ich dann noch einmal konsequent gesucht – und tatsächlich auch noch gefunden habe. Die Suche dieses Anbieters blieb zwar erfolglos, aber nachdem Google mich soweit gebracht hatte, habe ich es mit dem Bild bei der Google-Bildersuche versucht. Und prompt einen Treffer gehabt – ausgerechnet auf Etsy, wo ich erst kürzlich zum ersten Mal gekauft hatte, bot ein anderer Anbieter aus der Ukraine Ogonek 1958, Nummer 16 an. Das Angebot hatte auch zahlreiche Bilder, auf denen man auch die Geschichte von Dick schon erahnen konnte.
Eine von vier Illustrationen, die die Geschichte
begleiten. Seite 21 in Ogonek 1958, Nummer 16
Zu einem deutlich günstigeren Preis als erwartet (und vorher anderweitig von mir ausgelobt) und zu angemessenen Versandkosten hat sich das Heft dann aus Odessa auf den Weg gemacht. Anfänglich konnte die Sendung genau beobachtet werden – die ukrainische Post bietet Tracking; DHL unterstützt das dann leider nicht mehr. Diese Sendung wurde von mir so sehr erwartet, wie schon lange keine Erwerbung mehr. Und nach 27 langen Tagen, von denen wohl der überwiegende Teil dem Zoll oder DHL geschuldet sind, war dann der Abholschein im Briefkasten.
Sicher gehört diese Ausgabe von Ogonek nicht in den deutschen Sammlungskanon, als erste sowjetische (bzw. russische) Veröffentlichung mit einer interessanten Geschichte – die auch Dick oft erzählt hat – ist es aber ein schönes Stück, das mir viel Spass macht, auch wegen der vier liebevollen Illustrationen, die auch Dick schon in seinen Briefen erwähnt. Und hier noch mal bibliographisch komplett:
Ogonek 1958, Nummer 16, Verlag Prawda. Enthält Foster, ty mertv!, aus dem Englischen [Foster, You're Dead] von Ju. V. Simenova und V. V. Krivoshhekova. Seite 17–21. Mit vier schwarz-weissen Abbildungen.
Vor 1990 hat es dann in der Sowjetunion noch etwa ein halbes Dutzend weitere Veröffentlichungen verschiedener Geschichten gegeben. Die Veröffentlichung in Ogonek wurde in Rumänien und Ungarn übernommen
Der Web-Tipp ist natürlich Google.
Einen Überblick über die Übersetzungen von Dicks Werk in die verschiedenen Sprachen findet sich auch hier in diesem Blog.

Anhang

In einem Brief an Walter Lanferman, einem ehemaligen Klassenkameraden, vom 30. Dezember 1958, also kurz nach der Veröffentlichung in Ogonek, schreibt Dick [Selected Letters 1938-1971, Volume 1. Underwood-Miller (1997)]:
But, more interesting, the Soviet Union has taken an interest in my stuff (so long, Walt. Nice having known you). Their largest-circulation weekly, Ogonek, printed in a Russian translation, with illustrations, a story of mine, Foster, You're Dead, an antiwar story; it took up five of the Look-size glossy pages, five out of about 32. Ogonek is printed by Pravda, and this particular week’s edition had a circulation of one and half million. So a fair amount of royalty money was due me. I wrote the Soviet Union and got no answer. But recently, apparently due to the fact that Stevenson went there this summer represented various US authors such as myself (in fact he was given my name by the American Authors’ League) there’s been a change of policy, and now Ogonek writes me to say they’ve sent a royalty check. I’m told that is should run about 4,000 roubles—about $1,000. Also, Ogonek wants me to submit material to them direct—the story they used was reprinted from a US Ballantine anthology which caused quite a stir here; was written up in a Harper’s editorial and in an article in the Bulletin of the Atomic Scientists (the latter unfavorably). 

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